Mein Hund ist nicht perfekt

Der heutige Blog ist meinem Hund Rico gewidmet, der, wie die Überschrift bereits erahnen lässt, manchmal nicht ganz so „funktioniert“ wie ich mir das vorstelle. Vermutlich teilen viele Hundebesitzer dieses Schicksal. Man ärgert sich heimlich oder öffentlich über die Unzulänglichkeiten des geliebten Vierbeiners und zweifelt nicht selten die eigene Kompetenz in punkto Hundehaltung und Erziehung an. Ich gebe zu, mir tut das immer besonders weh, da ich hauptberuflich als Tiertrainerin arbeite und daher einen besonders hohen Anspruch an mich selbst und auch an meinen Hund habe. Werden diese Erwartungen enttäuscht, machen sich nicht selten Verzweiflung und ein Gefühl des Versagens breit. Außerdem ist da immer die Sorge, was andere Leute wohl denken, wenn die Wolfstrainerin ihren lockigen Fast-Schoßhund nicht im Griff hat. Ich glaube es lässt sich bereits erahnen, dass mein Hund ein großes und wunderbar herausforderndes Lernfeld für mich darstellt. Aber stellen wir ihn doch erst einmal vor.

Rico ist ein 4-jähriger Lagotto Romagnolo Rüde (zu deutsch ein Wasserhund italienischen Ursprungs), den ich vor zwei Jahren von einer sehr netten älteren Dame übernommen habe. Er hat weiches Fell, ist ein wirklich lieber Kerl und kuschelt für sein Leben gerne. Rico versteht sich mit anderen Hunden, hört (meistens) sehr gut, hat Respekt vor Katzen, liebt Kinder jeden Alters und spielt in seiner Freizeit gerne mit Stöckchen oder Stofftieren. Er darf außerdem eine Vielzahl von süßen bis fragwürdigen Spitznamen sein Eigen nennen, die er über die letzten zwei Jahre bei uns gesammelt hat.

Der sympathische Rico thront auf einem alten Baumstamm.

Neben diesem sympathischen, braven Hund gibt es aber auch den dunklen, bösen Rico, der sein Frauchen nicht selten in den Wahnsinn treibt. Da wäre zunächst diese gehörige Portion Egozentrismus, über die Rico verfügt. Diese Gewissheit, dass sich die Welt in jedem Fall um ihn dreht. Böse Zungen haben ihn bereits als ricozentrisch beschrieben und das trifft es in der Tat sehr gut. Egal was passiert und egal was man tut, Rico ist davon überzeugt, dass er dabei stets eine Rolle spielt. Wir arbeiten natürlich daran, dass er von diesem Glauben abkommt. Das ist aber gar nicht so leicht und wir werden dann nicht selten mit vorwurfsvollen Hundeblicken gestraft.

Eine weitere Schwäche Rico´s sind die Damen. Er liebt alle Weibchen und geht daher fälschlicherweise davon aus, dass auch alle Weibchen ihn lieben müssen. So legt er manchmal durchaus schlechte Manieren im Kontakt mit anderen Hunden an den Tag und steckt seine Nase nur zu gerne in Angelegenheiten und Körperregionen, die ihn nichts angehen (obwohl er im Grunde seines Herzens wirklich ein freundlicher Hund ist). Ich habe bereits aufgehört zu zählen, wie oft ich ihn mit den Worten „Rico, das ist unhöflich“ in solchen Situationen zur Raison gerufen habe. Die Lernkurve scheint da sehr schwach ausgeprägt zu sein und ich übe mich weiter in Geduld und Beherrschtheit.

Rico der Charmeur hat eine Rose für jedes Weibchen.

Die größte Bürde, die mir mit Rico auferlegt wurde, ist allerdings, dass er sehr sensibel ist; so sensibel, dass es mitunter ins Nervöse, Hysterische, krankhaft Panische entgleist. Diese Seite meines Hundes bleibt so lange unentdeckt, wie wir uns auf dem sicheren Terrain alltäglicher Routinen bewegen. Doch wehe es läuft anders als geplant. Dann wird gezittert, gejammert, kopflos an der Leine gezogen und die Verdauung spielt verrückt.

Erst letztes Wochenende durfte ich das wieder hautnah miterleben als Rico und ich gemeinsam mit einer Freundin und ihren Hunden auf den Bauernhof zu einer anderen Freundin gefahren sind. Im Nachhinein betrachtet hätte ich es mir denken können, dass das eindeutig zu viel für das zarte Lagotto Gemüt ist. Doch ich habe nicht nachgedacht und bin naiv davon ausgegangen, dass ein Bauernhof mit viel Wald und Wiesen drumherum doch das ideale Ausflugsziel für Hund und Halter ist. Mitnichten war es das.

Bereits auf der Fahrt wurde ordentlich gezittert und gejammert. Spätestens nach der Ankunft war an ein zur Ruhe kommen nicht mehr zu denken. Rastlos wanderte mein Hund im Haus von A nach B, konnte nirgendwo länger als drei Minuten liegen bleiben, rannte beim Spaziergang nervös hin und her und panierte sich schlussendlich mit einer Mischung aus Matsch und Kuhmist. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Denn der dunkle, böse Rico sucht seine Opfer bevorzugt in der Nacht heim.

Ich teilte mir das Zimmer mit meiner Freundin und ihren Hunden. Es befand sich im zweiten Stockwerk des gemütlichen Bauernhauses. Ahnungslos und müde legten wir uns also am Abend zur Ruhe. Doch an Ruhe war nicht zu denken, da auch Rico keine Ruhe fand. Wie bereits am Tag, wechselte er im Minutentakt seine Position. Das Ganze wurde mit einem leisen, aber nervtötenden Fiepen untermalt. Außerdem versuchte der dreiste Lagotto mehr als hartnäckig, das Bett für sich zu beanspruchen. Ich weiß nicht wie oft ich ihn letztlich wieder rauswerfen musste. Zur Erklärung: Bei uns Zuhause darf er gar nicht ins Schlafzimmer, weswegen die Bettdiskussion vorher noch nie ausdiskutiert wurde.

Gegen 3 Uhr morgens hatte sich das Fiepen auf eine Lautstärke gesteigert, die auf einen prall gefüllten, nervösen Darm schließen ließ. Ich kämpfte mich also aus dem Bett, machte mich mit dem zittrigen Rico im Schlepptau auf den Weg nach unten und hoffte inständig, dass wir das Baby meiner anderen Freundin nicht aufweckten. Draußen angekommen hockte sich das kleine Nervenbündel sofort unter den nächsten Busch und produzierte einen Haufen, der als Beweis für die Rückkehr der Dinosaurier herangezogen werden könnte. Dieser Anblick verschaffte auch mir eine gewisse seelische Erleichterung, weil ich ihn als dampfendes Symbol für eine angenehme zweite Nachthälfte interpretierte. Doch leider lag ich wieder einmal falsch, denn auch nach verrichteter Notdurft, beruhigte Rico sich nicht. Er jammerte weiter leise vor sich hin, bekam vor Aufregung Schluckauf, versuchte weiter penetrant ins Bett zu steigen und kratzte mit seinen Krallen störend über das Parkett.

Um 4 Uhr war ich schließlich so verzweifelt, dass ich beschloss, Rico für den  verbleibenden Rest der Nacht ins Auto zu bringen. Dieses Theater konnte ich auch meiner Freundin nicht länger zumuten. Nachdem der Hund im Auto war, kehrte endlich Ruhe ein im Schlafzimmer. Doch wirklich Schlafen konnte ich trotzdem nicht. Es plagte mich das schlechte Gewissen über den armen, zitternden Rico im Kofferraum. Dabei konnte er dort vermutlich besser entspannen als im Zimmer zusammen mit anderen Hunden und Menschen. Aber derart rationales Denken fällt in einer solchen Situation natürlich schwer.

Dies ist mitnichten die einzige Begebenheit, in der sich Rico´s Überempfindlichkeit mehr als störend bemerkbar gemacht hat. Stressbedingter Durchfall ist ein oft, wenn auch nicht gern gesehener Gast in unserem Leben. Nicht nur einmal musste ich mich mit chemischen Reinigern intensiv und auf Knien bei unserem Wohnzimmerteppich entschuldigen, während sich der arme Übeltäter in seine kleine Höhle unter unserer Kücheneckbank zurückgezogen hatte. Wer würde es da übers Herz bringen, ihm wirklich böse zu sein?

Der Hund, dem man nicht böse sein kann.

Nichtsdestotrotz plagen mich manchmal die Zweifel. Warum habe ausgerechnet ich so einen anstrengenden Hund bekommen, den man nicht einfach überall hin mitnehmen kann? Warum schaffe ich es nicht, ihn zu beruhigen, damit er entspannter ist? Würde es ihm woanders möglicherweise besser gehen? Warum passiert es mir immer wieder, dass ich in bestimmten Situationen doch nicht ganz ruhig bleibe und böse und wütend werde?

Darüber habe ich viel nachgedacht und bin mittlerweile zu einer Erklärung gekommen, die für mich stimmig ist. Ich bin überzeugt, dass ich sehr viel von und mit Rico lernen darf, denn kein Mensch und kein anderes Tier kann mich so triggern wie dieser kleine Lockenhund mit seinen unnatürlich menschlichen Augen. Er ist sozusagen meine persönliche Championsleague im Umgang mit Emotionen, Erwartungen und Perfektionismus. Sicher ist er nicht immer der einfachste Hund und sicher bin ich nicht immer die beste Besitzerin, die er vielleicht haben könnte. Aber ich versuche ihm so gut es mir möglich ist gerecht zu werden und mich mit ihm zusammen weiterzuentwickeln.

Und wenn er sich auf meinen Schoß legt und seine ledrige, schnuffelige Hundenase gegen mein Bein stupst, dann habe ich ihn einfach nur schrecklich lieb und werde auf wunderschöne Weise daran erinnert, dass man nicht fehlerlos sein muss, um perfekt zu sein.

Beitragsbild: Ken Oberließen

12. Juli 2020