Von Zäunen und Wölfen

Zäune sind ein elementarer Bestandteil in jedem Zoo oder Tierpark. Mehr oder weniger schön bzw. dezent, trennen sie doch stets die Tiere von den Menschen. In diesem Blog möchte ich ein paar persönliche Erfahrungen mit Zäunen und Wölfen teilen. Es soll dabei nicht um die grundsätzliche Frage gehen, ob wir als Menschen das Recht haben, Tiere in Gehege einzusperren. Natürlich ist diese Frage durchaus berechtigt und man kann zweifelsohne interessante, tiefgehende und vermutlich sehr lange Diskussionen darüber führen. Hier möchte ich aber vielmehr davon berichten, wie sich das Vorhandensein eines Zauns auf das Miteinander von Mensch und Wolf auswirkt.

Bei meiner Arbeit als Tiertrainerin am Wolfsforschungszentrum in Ernstbrunn arbeite ich regelmäßig durch den Zaun mit den Tieren. Das liegt zum einen daran, dass gewisse Verhaltensstudien so konzipiert sind, dass sie durch den Zaun durchgeführt werden. Zum anderen kann ich nicht mit allen Wölfen alleine im direkten Kontakt arbeiten. Das heißt, wenn keine erfahrenere Trainerin vor Ort ist, die Zeit und Lust hat, mich zu einem solchen Wolf zu begleiten, ist die Arbeit durch den Zaun die einzige Option die bleibt. Insbesondere während den Anfängen des Corona Lockdowns war dies tatsächlich oft die einzige Option die mir blieb, da unsere Arbeitsteams zunächst auf sehr kleine Sub-Teams zusammengeschrumpft wurden, die sich unter keinen Umständen begegnen sollten. Das Betreuungsangebot reduzierte sich also maßgeblich und das Training durch den Zaun wurde mit vielen Wölfen zur täglichen Praxis.

Als Zaungast zu Besuch bei Yukon.
Foto: Rooobert Bayer.

Ich persönlich habe festgestellt, dass ein Arbeiten durch den Zaun mein subjektives Sicherheitsgefühl ganz maßgeblich beeinflusst (zum Positiven wohlgemerkt). Das mag auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen und nicht weiter bedeutsam sein. Allerdings wirkt sich dieses subjektive Sicherheitsempfinden auch auf das Tier aus, weil Mensch (in dem Fall ich) viel ruhiger und entspannter agiert. Außerdem bin ich mir sicher, dass auch manche Wölfe unabhängig von meiner eigenen Entspanntheit selber deutlich entspannter sind, wenn sie durch einen Zaun mit mir interagieren können. Die Arbeit durch den Zaun bietet also beiden Seiten einen geschützten Rahmen, um sich gegenseitig besser kennenzulernen und zu verstehen, wie der andere jeweils funktioniert.

Für den Beziehungsaufbau ist das natürlich Gold wert und am Ende des Tages läuft bei Wölfen alles über die Qualität der Beziehung. Eine hochwertige Futterbelohnung ist schließlich nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für wölfische Kooperationsbereitschaft. Da sind die Tierchen doch sehr eigenwillig.

Mein persönliches Paradebeispiel für die Beziehungsentwicklung durch den Zaun ist Wamblee. Wamblee ist ein wirklich lieber und sympathischer Wolf, der eine gewisse Tendenz zum Wahnsinn allerdings nicht ganz verbergen kann. Er kann Grimassen schneiden wie kein anderer Wolf und seine Augen in echter oder gespielter Panik so weit aufreißen, dass es fast schon komisch aussieht. Außerdem hat er von klein auf Angst vor menschlichen Beinen. Keiner vermag zu sagen warum und diese Angst manifestiert sich auch nur dann, wenn die Beine beginnen sich zu bewegen (leider tun sie das beim Laufen immer). Im Zusammensein mit Menschen kann es bei Wamblee außerdem vorkommen, dass er sich unbemerkt von hinten anschleicht und dezent an der Kleidung oder am darunterliegenden Hintern zupft. Er meint das nicht böse, sondern findet es einfach lustig. Trotzdem war das für mich Grund genug, ihm etwas zu misstrauen. Mir behagt die Vorstellung von Wolfszähnen in Gesäßnähe nicht übermäßig. Außerdem hat mich sein Hang zur Dramatik verunsichert, der sich, wie erwähnt, insbesondere in der Angst vor Beinen in Bewegung ausdrückt. Auf gemeinsamen Spaziergängen (natürlich mit kompetenter kollegialer Untersützung) war ich immer in einer gewissen Alarmbereitschaft, weil ich jede Sekunde damit rechnete, dass Wamblee sich vor irgendetwas (bevorzugt vor meinen Beinen) erschrecken würde. Diese innere Unruhe und Unsicherheit führte allerdings nur dazu, dass auch Wamblee noch unruhiger wurde und sich die Wahrscheinlichkeit einer Extremitäten-bedingten Panikattacke drastisch erhöhte.

Aufgrund von Corona hatte ich dann für einige Wochen keine Möglichkeit mehr, Wamblee auf einen Spaziergang zu nehmen. Die Wamblee-authorisierten Trainerinnen waren anderen Sub-Teams zugeteilt worden und so war ein direktes Zusammentreffen ausgeschlossen. Daher habe ich angefangen, vermehrt durch den Zaun mit Wamblee zu arbeiten. Wir haben zum Beispiel viel „chin rest“ Training zusammen gemacht. Dabei lernen die Tiere, ihren Kopf auf eine am Zaun befestigte kleine Plattform zu legen. In dieser Position kann man dann (in fortgeschrittenen Trainingsstadien) einen Speicheltupfer seitlich ins Maul einführen und eine Wolfsspeichelprobe nehmen. Das benötigen wir zum Beispiel für Studien, in denen wir das Cortisol-Level bei den Tieren messen wollen.

Wamblee brilliert höchst motiviert beim „chin rest“ Training.
Foto: Rooobert Bayer

Dieses Training hat Wamblee (meistens) viel Spaß gemacht. Wenn er keine Lust hatte, gab es halt kein Training, wie das bei unseren selbstbestimmten Wölfen eben so üblich ist. Über die verschiedenen Trainings-Sessions hinweg wurde Wamblee immer ruhiger und entspannter. Kein Wunder, denn ich saß auf einem kleinen Höckerchen vor dem Zaun und meine Beine verweilten die meiste Zeit in beruhigender Reglosigkeit. Auch bei mir selbst habe ich im Laufe der Trainingssessions eine gewisse Entspanntheit bemerkt, die ich sonst mit Wamblee definitiv nicht hatte. Die ständige Alarmbereitschaft war einer „was soll schon passieren“ Einstellung gewichen. Der Zaun entband mich großzügig von der Last der Verantwortung. Wenn Wamblee Angst haben sollte, könnte er einfach gehen. Und an meinen schutzbedürftigen Hintern kam er dank Zaun auch nicht dran.

Nun, da ich dank Sub-Team Vergrößerungen wieder im direkten Kontakt mit Wamblee arbeiten darf, habe ich festgestellt, dass ich eine gewisse Portion zaunbedingter Entspanntheit in die Zusammenarbeit mit ihm mitgenommen habe. Zugegeben, es wäre gelogen zu behaupten, dass ich nun ganz und gar relaxt wäre. Aber ich sehe doch eine deutliche Verbesserung zu vorher und zwar sowohl bei mir als auch bei Wamblee. Es ist einfach unneurotischer und angenehmer. Ich sehe viel mehr den sympathischen Wolf, der er ohne Frage ist und weniger das an der Kleidung zupfende Nervenbündel, das jeden Moment in Sphären unbegründeter Panik eskalieren könnte.

Nichtsdestotrotz habe ich den kleinen Frechdachs immer noch ganz genau im Blick. Man braucht schließlich nicht leichtsinnig zu werden, schon gar nicht, wenn die Unversehrtheit des eigenen Hinterns eine durchaus erstrebenswerte Maxime darstellt.

Beitragsbild: Rooobert Bayer

18. Juni 2020